Ich bin großer Nutznießer der Mitfahrzentrale. Auf meinen Touren durch die Republik habe ich mit den Knien am Kinn massig Meilen gesammelt, daher gönne ich mir für meine Reise HAM nach COL ein Upgrade: eine Fahrt in einem Mercedes SLK Cabriolet.
Es dämmert schon, als wir uns auf dem Parkplatz hinter dem Hauptbahnhof treffen, ich sehe zuerst das silberglänzende Gefährt mit offenem Verdeck. Wir sind zu dritt: der mit dem Autoschlüssel trägt einen bunten Ringelpullover über dem Hemd, sein blasses Haar ist zu einem Scheitel gekämmt; Spießer, Schweigermuttertyp, im Folgenden heißt er Driver.
Bis zur Autobahn weht uns frischer Wind um die Ohren, trotz Dunkelheit ist es noch angenehm warm. Driver macht eine CD an, sein Kopf wippt zu „Fuck the System“. Widerlegte Klischees hinterlassen bei mir ein ungutes Gefühl, ich sollte Recht behalten.
Vor der Auffahrt fährt Driver das Verdeck hoch, die Musik wechselt zu Minimal; er schaltet runter, der Motor heult auf, Fliehkraft, Farben schwimmen, die Nadel schießt auf rote 220. Der Rest ist Autobahn mit drei Spuren, kriechende Rücklichtern, Kurven, in denen man an die Innenseite der Autotür gepresst wird.
Driver scheint nicht viel auf Mitfahrerleben zu geben, ich nach einer Weile auch nicht mehr. Wie hypnotisiert starre ich auf die angeleuchtete Fahrbahnmarkierung, eine sich in Windeseile kringelnde, weiße Linie, gespickt mit vorbeifliegenden roten Lichtern, die Haut um meine Fingernägel fängt an zu bluten.
Doch plötzlich begreife ich:
Wir sind nicht allein!
Und ich dachte Porsche, BMW und Co. sind Prestigespielzeuge. Nein, es gibt Leute die nehmen das ernst. Es geht nicht um Lackierung, Form oder Marke, es geht um das, was drunter steckt. Drängler, Lichthupe, Geschwindigkeitsjunkies waren mit bekannt, doch jetzt erst begreife ich, dass dies Teil eines abgekarteten Spiels ist, die tägliche Formel 1 der Autobahn, an der ich bisher unwissentlich als Hindernis beteiligt war.
Jeder kann mitmachen, es ist nichts abgesprochen, man erkennt sich, ein paar Kilometer, ohne Vorgaben, ohne Ziel, aber mit Kodex. Sie wechseln die Spuren, drängen sich ab, bremsen aus, und lavieren dabei geschickt um alles, was sonst noch unterwegs ist.
Wahnsinn! Ich bin begeistert. Driver ist erfahren, er kennt die Tricks, über Rück- und Seitenspiegel hat er alles im Griff. Ab und an, streicht er mit seiner Fingerkuppe sanft über die Windschutzscheibe. Wie er wirklich heißt, was er so macht, ob er schon eine Schwiegermutter hat, ich weiß es nicht, wir sprechen kein Wort miteinander.
Dann der Audi, weißer Geländewagen, mit KN im Kennzeichen. Nicht nur ein fieser Ausbremser, er täuscht an: Er blinkt rechts und zieht links rüber, drängeln wir, gibt er kurz Gas und bremst, setzten wir rechts zum Überholen an, lässt er sich zurückfallen und schießt dann vor. Er spielt mit uns.
Das lassen wir nicht auf uns sitzen. Driver packt den Steuerknüppel fester, ich beuge mich angestrengt vor, der Dritte schnarcht. Wir leisten uns ein enges Kopf an Kopf rennen, Baustellen, Lkws, nichts kann uns aufhalten. Doch dann das; die Fenster beschlagen, bald schon sehen wir nichts mehr. Driver schrubbt mit dem linken Ärmel, während er mit rechts lenkt und schaltet. Es reicht nicht, wir müssen auf die äußere Spur, abbremsen und die Fenster öffnen. Durch die verschmierte Scheibe sehen wir den weißen Audi davonziehen- technisches Versargen. Es pustet uns kräftig durch, dann ist die Sicht wieder frei, Driver schließt die Fenster, zieht erneut auf die linke Spur, das nächste Rennen wartet.
Der Nachthimmel, das blinkende Fernlicht, die Rücklichter, Beats und unser Schweigen. Ich lehne mich zufrieden zurück. Ein schwarz-weiß-roter Stummfilm, voller Adrenalin und ich mitten drin. Plötzlich schallt Kuschelrock aus den Boxen. Driver verlangsamt, viel zu schnell erreichen wir Köln.
Im Abspann:
Gott
Schutzengel
Driver
Ich
Dritter
no make up.